Übers fotografieren

Mit neun Jahren bekam ich meine erste Kamera. Ritsch Ratsch Klick  – die Älteren werden sich erinnern. Ab da habe ich mein unmittelbares Umfeld dokumentiert: mein Kinderzimmer, meine Eltern, Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke, unseren Garten, unser Haus, unsere Straße.

Mein Vater hat auch immer schon fotografiert und wie es so seine Art war, immer akribisch und akkurat nach Lehrbuch. Er fotografierte allerdings nur die besonderen Dinge: Familienfeiern, Festtage und Urlaube.


Agfa SensorAls mein Vater auf Spiegelreflex umstieg, bekam ich seine ausrangierte Agfa Sensor, mit der ich mir dann ganz schön professionell vorkam. Irgendwann fiel sie mir mal hin, woraufhin sich etwas in der Optik verschob und die Fotos von da an einen bilitis’esken Weichzeichner hatten, den ich als künstlerisches Stilmittel deklarierte.

Als nächstes erbte ich dann die erste Spiegelreflexkamera, als mein Vater sich eine bessere zulegte. Das war eine ganz neue Welt für mich. Endlich Fotos in guter Qualität, ich konnte Blende und Belichtungszeiten selber einstellen, Tiefenschärfe erschloss sich mir und ich hatte die Möglichkeit Wechselobjektive zu benutzen.
Ich fotografierte meine Urlaube, machte mit meinen Freundinnen lustige Nonsens Fotosessions und war immer noch versucht, den Alltagsgegenständen in meiner Umgebung ein tieferes Geheimnis zu entlocken, was mir allerdings nie gelang.

Im Studium belegte ich alle Fotokurse, die zu belegen waren. Ich begann bei Konzerten zu fotografieren und verbrachte Wochen im Fotolabor. Schwarz/Weiß war meine Religion, Elliott Erwitt, Walker Evans, Brassai, Lee Friedlander, Cecil Beaton, Lisette Model, Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau, Robert Frank, Diane Arbus, Weegee und viele andere waren  meine Heldinnen und Helden. Für eine Prüfung gestaltete ich ein LP Booklet. In meiner Wohnung richtete ich mir im Badezimmer eine Dunkelkammer ein.

Für meine Diplomarbeit habe ich vermutlich kilometerweise Filme verknipst. Das Thema war „Bühnenshow für eine Band“. Ich entwickelte ein Projektionsflächensystem – eigentlicher Schwerpunkt für mein Objekt-Design Studium – aber meine Herzenssache waren die Fotoserien, mit denen ich ein paar Songs der Band illustrierte. Darin versank ich. Ich verbrachte Nächte damit, Dinge in meinem improvisierten Arbeitszimmer-Fotostudio zu fotografieren, vorzugsweise auf einem improvisierten Leuchttisch,  fotografierte die Band auf der Bühne, im Proberaum, in der Landschaft. Das Material bearbeitete ich exzessiv. Alles analog, händisch, zu Fuß! Doppel-, und  Dreifachbelichtungen, Sandwichtechnik, kopierte von Negativ auf Positiv, machte Repros und alles wieder zurück. Kratzte mit einer Rasierklinge die Farbschichten vom Film, steckte alles mögliche in Glasdiarahmen, was sich nur in Glasdiarahmen stecken ließ. Flow. Rausch.

Dann starb mein Vater und ich habe das Interesse am fotografieren verloren.
Ob da ein kausaler Zusammenhang besteht, weiss ich bis heute nicht.
In den folgenden Jahren habe ich mehr oder weniger leidenschaftslos meine Urlaube und meine Jobs dokumentiert, mehr nicht.

ixus 70Der nächste Wendepunkt kam 2008. Ich wollte nach New York und dort unbedingt fotografieren, hatte aber keine Lust, eine tonnenschwere SLR Ausrüstung mit mir rumzuschleppen und kaufte mir endlich eine kleine digitale Flitsche – eine IXUS 70, die ich immer noch ganz wunderbar finde, so klein und unauffällig, das robuste Metallgehäuse – obwohl inzwischen meine Handykamera besser ist.  Das war wie eine Befreiung. Das knipsen hatte auf einmal eine ganz neue Qualität. Immer druf, egal, auswählen ist später. Unauffällig aus der Hüfte und kleine Filmchen drehen geht auch.
Bald hatte ich dann auch ein Handy mit Kamera und ich tauchte ein ins Social Web. Fotos twittern und Flickr. Da habe ich mich eine Zeit lang gerne getummelt. Bis dann mein Speicherplatz erschöpft war. [Flickr hat ja vor einiger Zeit den Speicherplatz erweitert und die ganze Site relancht. Sehr schön, wie ich finde, trotzdem „vergesse“ ich es immer, dort was zu machen. Die Site ist extrem ladeintensiv, unübersichtlich und zu schwerfällig. Schade eigentlich, aber vielleicht komme ich irgendwann wieder vorbei.]

Dann die Entdeckung Instagram, was ich ganz wunderbar finde. Knipsen, Filter drauf und gut. Schnell schön, schön schnell. Das quadratische polaroide Format, was gleichermaßen begrenzt und befreit. Twittern mit Bildern, Impressionen des Alltags und des Umfelds. Visuelle Gedankensplitter. So nutze und mag ich es. Die meisten Profifotografen und Schönfotografierer interessieren mich dort nicht und ich halte das Tool dafür auch für ungeeignet.
Ich mag am liebsten die „Tagebuchfotos“ von Leuten die ich kenne – Ausnahmen bestätigen die Regel – das schließt meine Twitter- und Facebookkontakte ein, also „kennen“ im weitesten Sinne. Einen Blick auf das Leben anderer erhaschen, der besondere Blick auf ganz banale Dinge. Der Weg zur Arbeit, das Mittagessen, der Blick aus dem Wohnzimmerfenster, wer ist gerade wo, und mit wem, ein Blick auf den Arbeitsplatz, ins Atelier, die kleinen Dinge rechts und links am Wegesrand. Bilder, die Geschichten erzählen, die ein Geheimnis bergen, die einen ticken aus dem Fokus gerückt sind.

Und da schließt sich nach fast 40 Jahren ein Kreis. Schön. Ritsch Ratsch Klick.

3 Kommentare

  1. Liebe Ute,
    habe diesen Beitrag gerne gelesen. Ich wusste ja gar nicht, dass Du eine solch‘ fotografische Geschichte hast.
    Lg
    Martin

  2. Gewisse Parallelen, wie ich zur Fotographie gekommen bin. Im Nachhinein möchte ich meinen Vater danken, dass er mir nach 7 Jahre, in denen ich immer noch mit der Kinder-Ritsch-Ratsch-Kamera direkt eine moderne Spiegelreflex kaufte, als ich mit 16 Jahren das erste Mal alleine auf große Reise ging. Damit hat er einen sehr wichtigen Grundstein gelegt. Ich glaube, er weiss das gar nicht.

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