Ende Juni wurden Anke von Heyl, Wibke Ladwig und ich – aka Die Herbergsmütter – zum Twonnerstag in der Plastikbar des Lehmbruck Museums eingeladen, um Vorträge zu halten.
Wibke präsentierte eine Neuauflage Ihres re:publica Vortrags Decoding a book, Anke berichtete von unserem Kultur auf die Hand zum Internationalen Museumstag und ich dachte mir, ich erzähle was über Essen, Kunst, Design und Internet – einem Thema, das mir am Herzen liegt und mit dem ich mich schon lange beschäftige.
Dass Bilder von Essen unsere Timelines bevölkern und die Frage, warum Menschen das wohl tun, und weshalb es machen aufregt, sollte eigentlich nur ein kurzer Exkurs werden, dann wurde es aber doch zum Schwerpunkt.
Es ist ein weltweites Phänomen und inzwischen wird es auch schon persifliert, z. B. mit dem Tumblr Pictures of Hipsters Taking Pictures of Food
Ich begann zu recherchieren und fragte dann kurzerhand in meiner Timeline nach: „Fotografiert und postet ihr Euer Essen, und wenn ja warum?“ und „Nervt es Euch, wenn ihr fotografiertes Essen in Eurer Timeline habt? Wenn ja, warum“.
Ich glaube ich habe noch nie so viele Rückmeldungen zu einer Frage bekommen. Vor allem zu dem „Ja, ich fotografiere und poste mein Essen“. Interessanterweise wurde die (kurze) Diskussion bei „Ja, es nervt mich“ gleich etwas pampig im Ton.
Kunsthistorisch ist das Abbilden von Essen ein alter Hut. Schon in der Höhlenmalerei wurde die Jagd dokumentiert und somit mittelbar das Essen abgebildet.
Lecker #Foodporn aus der Höhlenmalerei: Kinder, heute gibt’s Mammut! @frauvogel über #foodfotografie #twonnerstag
— Wibke Ladwig (@sinnundverstand) June 27, 2013
In der christlichen Mythologie nehmen Nahrungsmittel einen zentralen Stellenwert ein: der Apfel, das Brot, der Wein, der Fisch. Im Mittelalter wurden höfische Mahle zum Zeichen der Repräsentation gezeigt. Im 17. Jahrhundert wurde dann mit dem Stilleben dem Essen ein ganzes Genre gewidmet. besonders in den calvinistischen Niederlanden, wo Reichtum und Wohlstand als Zeichen für Tugendhaftigkeit galten. Und weiter geht es durch alle Epochen, haben sich doch sehr viele Maler auch am Stilleben versucht. In den 30er Jahren des vorigen Jahrhunderts haben die Futuristen mit ihrer „Cucina Futurista“ manches vorweggenommen, was in den 60er und 70er Jahren mit Dieter Roth, Daniel Spoerri, Joseph Beuys u. a. als Eat Art etabliert wurde. Nahrungsmittel als Material benutzen, Festessen zu Kunstwerken erklären.
So weit. So gut.
Eva Barlösius, Autorin des Buchs „Soziologie des Essens : eine sozial- und kulturwissenschaftliche Einführung in die Ernährungsforschung“ wurde kürzlich vom Spiegel zum Thema interviewt.
Als Gründe für das Essen posten führt Eva Barlösius u. a. Repräsentation an und sie erläutert den gesellschaftlichen Code, der dahintersteckt: Man zeigt was man kann, was man sich leisten kann. Demonstration eines guten Geschmacks und kultureller Kenntnisse.
Das spiegeln auch manche Rückmeldungen auf die Fragen in meiner Community wider.
In einigen Punkten stimme ich jedoch nicht mit ihr überein. Obschon ich glaube, dass sich die Essen-Poster in zwei Lager teilen – die einen, die nur Selbstgekochtes zeigen, die anderen auch Mahlzeiten in Restaurant, sehe ich durchaus auch jede Menge Fastfood, oder simple Mahlzeiten in meiner Timeline – also die Dokumentation des Alltags. (Siehe auch die Fotos bei pohtpof)
Schön und nachvollziehbar finde ich die Aussagen, das Schöne mit anderen teilen zu wollen.
„Meine Motivation ist das Gemeinschaftsgefühl! Ich bin zum Beispiel auch gerne Gastgeberin. Und ein Stück weit bitte ich dann mit an den Tisch … so virtuell halt.“
Aber warum polarisiert fotografiertes Essen nun so? Und polarisiert es tatsächlich mehr als Katzenfotos?
Es scheint auf der einen Seite ein urmenschliches Bedürfnis zu sein. Im Gegensatz zu Katzen, oder den neuesten technischen Spielzeugen, kennt sich jeder mit Essen aus, unabhängig davon, ob man selber gerne oder überhaupt kocht. Vielleicht ist es aber auch nur die Banalität des Alltags, die manche nervt.
Andererseit ist Essen immer auch etwas körperliches (man verleibt es sich ein) und somit auch etwas intimes. Mancherorts werden Foodfotos mit Foodporn bezeichnet, also Pornografie. Essen hat auch immer was mit Genuss und Lust zu tun, ist u. U. erotisch oder sexuell aufgeladen. (Ich denke da z. B. an die Szene in 9 1/2 Wochen)
Vielleicht empfinden das manche als übergriffig und grenzüberschreitend.
Das Teilen von Essen ist ebenso wie der Futterneid etwas urmenschliches. Essen ist eine Kommunikationszentrale. Facebook, Twitter, Instagram werden zu virtuellen Tischen, an denen gegessen und kommuniziert wird. Wenn über Storytelling gesprochen wird, wird gerne das Bild vom Lagerfeuer bemüht, um das der Clan sitzt und Geschichten lauscht. Das Feuer ist aber auch der Ort, an dem Essen zubereitet wird. Analog dazu sind es Küchen, die auf Partys immer proppenvoll sind und der informelle Informationsfluss, den man in Unternehemen Flurfunk nennt, sollte wahrscheinlich richtigerweise Kantinen- oder Teeküchenfunk heißen.
Hier möchte ich gerne auf zwei Projekte von Marije Vogelzang aufmerksam machen.
Marije Vogelzang hat Produktdesign studierte und schon während Ihres Studiums Lebensmittel als ihr Material entdeckte. Sie hat für sich den Beruf der Eating-Designerin erfunden, denn ihr Arbeitsfeld ist der Prozess des Essens.
Sharing Dinner beschäftigt sich im direkten Wortsinn mit dem Teilen von Essen und Eat Love Budapest geht noch eine Schritt weiter und bezieht das Füttern mit ein.
Nehmt Euch bitte auch 6 Minuten Zeit und schaut Euch das Video dazu an, es ist wirklich berührend.
Man kann einen Menschen nicht hasse, der seine Geschichte und sein Essen mit Dir teilt. (Marije Vogelzang)
Beim stARTcamp München 2014 habe ich eine Neuauflage des Vortrags gehalten und versucht, das Thema weiterzuspinnen.
Liebe Ute,
ich hatte mir schon bei Deinen beiden Fragen einige Gedanken zu dem Thema gemacht, hatte aber nichts zu posten, da ich weder Foodfotos poste, noch genervt von derartigen postings bin. Im Gegenteil: ich schaue mir gerne Bilder an, interessiere mich für foodblogs, die Menschen, Rezepte, das Drumherum. Ich koche auch gerne und so gut wie jeden Tag (für uns 3).
Deinen Vortrag finde ich sehr interessant, besonders die 2 Projekte von Marije. Sie haben aber wohl weniger mit der FB Fragestellung direkt zu tun. Im Vortrag hast Du ja das Zitat von der „virtuellen Gastgeberin“ herausgestellt, was mich in meiner Vermutung bestätigt, daß das Teilen von Foodfotos gelegentlich (häufiger?) auch ein Zeichen von Einsamkeit ist.
Das Teilen von Food(fotos) in social networks“ macht weder satt, noch führt es in der Regel zu einer Kommunikation, beides wichtige Elemente einer gemeinsamen Mahlzeit. Insofern polarisiert das Posten von Foodfotos meiner Ansicht nach deshalb so, weil es das „virtuelle soziale Teilen“ an sich in Frage stellt. Das extreme Gegenbeispiel ist dann das sehr „berührende“ Projekt von Marije, bei dem sich 2 fremde Menschen wirklich begegnen und der eine den anderen nicht nur füttert (und damit satt macht), sondern ihm dabei auch noch etwas von seiner eigenen Geschichte erzählt und damit den Grundstein für eine wirkliche Kommunikation legt.
Lieber Frank,
danke für Deine guten Gedanken.
Interessant, dass Du das „virtuelle Gastgeben“ mit Einsamkeit interpretiertst. Das habe ich so noch gar nicht gesehen. Kann aber gut möglich sein. Ich kenne allerdings auch Menschen, die in Gesellschaft ihr Essen fotografieren und posten (mich eingeschlossen).
Gut auch Dein Hinweis, dass durch das Fehlen von sinnlichen Eindrücken eine Genervtheit entstehen kann. Manch einer hat ja auch beklagt, dass ihm statt kommentarloser Fotos, dazugehörige Rezepte lieber wären, oder die Rezepte werden sogar eingefordert. Das würde dann auch den Erfolg von Foodblogs und tonnenweise Ess-Zeitschriften und Rezeptrubriken erklären.
Hallo Ute,
Mich nervt gepostetes Essen nicht.
Da ich mich sowohl für Fotografie, als auch für Essen (Anbau, Ernten, Kochen, Verzehren) interessiere – beides letztenlich im Sinn des Genusses, schaue ich mir gerne gute Fotos von gutem Essen an (als gut bezeichne ich mal bei Fotos, als auch bei Essen diejenigen, die mich ansprechen, berühren, erfreuen, diemeinen Appetitt anregen …). Ich verfolge solche Bilder allerdings auch nicht, bin kein Anhänger von Food-Blogs o. ä., ich lasse mich einfach über die Bilder stolpern.
Ich poste selbst keine Bilder von Essen. Noch nicht – es mag sich irgendwann ändern. Zumindest muss ich die Kamera beim kochen dabei haben. Das war bisher nicht der Fall und Bilder mit dem Mobilen Telefon zu machen, ist nicht mein Ding.
Schöner Artikel auf jeden Fall.