Sommerurlaub im November am Niederhein – 2.Teil

Weiter ging es nach Kleve und hier hatte ich ein Erweckungserlebnis. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal vor Begeisterung Schnappatmung wegen eines Museums oder Kunst hatte. Das Museum Kurhaus hat das bei mir ausgelöst. Was für ein Haus! Was für eine Sammlungspräsentation! Ich meine, wer erwartet so was in Kleve? Interessanterweise hatte niemand aus meiner sehr kunst- und museumsaffinen Bubble jemals von dem Haus gehört. Man macht zwar ein bisschen Social Media – senden, aber nicht mal Fragen beantworten – und die Website ist gefühlt von 2001. Auf der Startseite wird die zur Zeit aktuelle Ausstellung angezeigt, die ursprünglich bis zum 22.11.2020 laufen sollte, aber bis Ende Januar verlänger wurde, ist am heutigen Tag (16.12.22) immer noch nicht aktualisiert worden. Oh wie ärgerlich.

Aber im Haus wird man für alles entschädigt. Die Räumlichkeiten sind fantastisch, die Kunst* exquisit, die Präsentation umwerfend. Da werden alte Meister mit zeitgenössischen Kunstwerken auf genial Art und Weise miteinander kombiniert. Z. B. stehen die quietschpinken, möbel’esken Skulpturen von Stephen Prina in einem Raum mit mittelalterlichen Heiligenfiguren und Altarbildern. In einer Glasvitrine mit Silberwaren des 17./18. Jahrhunderts steht völlig selbstverständlich eine lebensechte Ratten-Skulptur von Katharina Fritsch. Das ist so mutig, zum Teil schreikomisch und befeuert die Synapsen. Das Museum besitzt eine große Sammlung und den Nachlass von Ewald Mataré, Joseph Beuys hatte hier zwischen 1957 und 1964 sein Atelier, es gibt eine Auszeichnung für die beste Ausstellung (2011) und es war auch mal Museum des Jahres (2004). Man wandelt durch klassische white cubes, geht durch einen modernen, schmalen Treppenaufgang, kommt in diese stark farbigen klassizistisch anmutenden Räume, erreicht durch ein weiteres Treppenhaus große Gründerzeiträume, mit hohen Türen – alles ist hellgrau gestrichen und wirkt ein bisschen wie ein digital entworfener, virtueller Raum. Und plötzlich steht man im einzigen historisch erhaltenem Raum, mit bemalten Wänden, einem prächtigen Kronleuchter und historischen Möbeln. Der Wow-Effekt kann nicht größer sein.

Am Tag sechs brauchte ich dann erst mal wieder Natur und spazierte auf der Bislicher Insel. Ein Naturschutzgebiet, wo u. a. jedes Jahr ca. 20.000 bis 30.000 arktische Wildgänse überwintern. Was für ein Geschnatter! Und Kühe laufen da auch einfach so durch die Gegend.

Am nächsten Tag ging es nach Kevelaer. Auch ein sehr hübsches Städtchen. Wegen des Wallfahrtsgedöns ist dort zu bestimmten Zeiten vermutlich die Hölle los. Ich besuchte das Niederrheinische Museum für Volkskunde und Kulturgeschichte, auch ein bisschen ein strubbeliges Haus, mit der Geschichte der Alltagskultur des Niederrheins und einer recht großen Spielzeug- und Puppenstubensammlung.

Die Rückfahrt nutze ich noch für eine Stopp bei den Kunstmuseen Krefeld: Haus Esters, Haus Lange und Kaiser Wilhelm Museum. Im Haus Esters war eine Einzelausstellung* von Andrea Zittel zu sehen. Von ihr hatte ich schon 2019 ein paar Arbeiten im Rahmen der Gruppenausstellung „Anders Wohnen“ gesehen, fand aber keinen rechten Zugang. Ihre Schau „Personal Patterns“ fand ich nun aber hochinteressant. Sie beschäftigt sich mit ihrem persönlichen Alltag und ihrer Umgebung und entwickelt daraus u. a. skulpturale Möbel, Teppiche und Kleidung.

Im Haus Lange gab es eine Ausstellung über Sonia Delaunay. Du liebe Güte, wie lange stand sie in der Kunstgeschichtstrezeption im Schatten ihres Mannes! Dabei war sie erfolgreiche Malerin, Designerin und Unternehmerin.

Im Kaiser Wilhelm Museum war leider nur eine Etage mit der Sammlungspräsentation geöffnet, die mir aber vom Prinzip sehr gut gefallen hat. „15 Räume“, in denen zu bestimmten Themen Stücke aus der Sammlung gezeigt werden, Quer durch die Genres und die Zeit. Zum Teil auch wirklich gut präsentiert. Im Raum „Der immerwährende Sonntag“, in dem es um das Biedermeier und den Rückzug ins Private ging, hing ein Stuhl an der Wand, Im Raum „Schrift und Objekt“ waren in einem Stahlregal Kartons gestapelt und Bücher lagen statt in einer Sockelvitrine, auf einem Zeichenschrank.

Die Reihe „Sammlungssatellit“ ist auch ein spannendes Format, bei dem sich zeitgenössische Künstler*innen mit der Sammlung auseinandersetzen und einen Raum dazu kuratieren. Hier hatte mich 2018 die Arbeit von Bik van de Pol begeistert. Aktuell bespielt Shannon Bool das Format mit Werken von Otto Eckmann, für das sie auch extra neue Arbeiten entwickelt hat.*

Sehr gut gefällt mit das Leitsystem im Haus.

Dann war eine pralle Woche Urlaub schon vorbei. Man könnte jetzt meinen, ich sei nur von Museum zu Museum gehüpft, aber ich habe auch viel und lange geschlafen, in der schönen Ferienwohnung ausgiebig rumgegammelt, jeden Abend lecker gekocht und gegessen. Irgendwie zu kurz für eine richtige Erholung, aber trotzdem eine sehr schöne und bereichernde Auszeit. Immer wieder sehr gerne Niederrhein.

 

* Weil ich keine Lust hatte, alle Künstler*innen zu recherchieren, ob sie bei der VG Bild gemeldet sind, habe ich, bis auf zwei Ausnahmen, darauf verzichtet, (zeitgenössische) Kunst zu zeigen. 🙁
Siehe hierzu auch den Beitrag zur Unsichtbarkeitsmaschine von der geschätzten KunstArztPraxis.

 

6 Kommentare

  1. Wie schön, so viel Enthusiasmus über den Niederrhein zu lesen!
    Im Kurhaus bin ich auch immer gerne.
    Jetzt fehlt der nur noch das Gegenstück zu Kevelaer: die Kirche in Kranenburg mit dem Wunderkreuz…
    Und unbedingt zeitnah Hans -Dieter Hüsch anhören mit seinem schwarzen Schaf von Niederrhein. Da kenne ich jedes Wort, der muss früher bei meiner Oma am Tisch gesessen haben ?.

    • Ich war da bestimmt nicht zum letzten mal! 🙂
      An Hans-Dieter Hüsch habe ich auch gedacht. Den muss ich mir tatsächlich mal wieder vornehmen.

  2. Das Museum Kurhaus Kleve kenn ich zwar, aber ich war noch nie da. Zu bd deswegen ist es wichtig, dass jemand von dort erzählt. Damit man Anreize bekommen kann, es aufzusuchen. was du berichtest, klingt richtig toll!!!

    • Ah, du kanntest es doch. Es ist von Köln aus natürlich schon ein kleiner Angang, aber ich glaube, es würde dir gefallen. 🙂

  3. Botschafterin für den Niederrhein – dieser Posten sollte umgehend mit Dir besetzt werden. Ich habe beide Teile sehr gern gelesen. Mich interessiert diese Gegend, seitdem ich damals beim Kunstpilgern dort unterwegs war. Aber irgendwie komme ich dann doch selten dorthin. Schön, nun mit Dir fernvermittelt nochmal da zu sein.

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