Vor etwa drei Monaten bekam ich eine Mail mit dem Satz “Wie Sie sicherlich wissen, haben die UN 2025 zum Internationalen Quantenjahr ausgerufen.” Ähm …
Es folgte eine Einladung zu einem Creator-Wochenende im Forum Wissen in Göttingen, anlässlich der Ausstellung “Was zum Quant?!”
Jetzt bin ich nicht gerade bekannt für meine naturwissenschaftliche Expertise – im Gegenteil, da habe ich im Gehirn eher einen blinden Fleck. Andererseits machen mich solche, mir sehr fremde Themen, gleich sehr neugierig und der amüsante Ausstellungstitel mit Augenzwinkern tat sein Übriges. Ich antwortete, stellte klar, dass ich nicht die Physik-Koryphäe bin, was wohl ok war und sagte zu.
Kleine Anekdote: Es gibt einen guten Podcast vom Forum Wissen: “Wissen to listen“. Ich hatte mir vorab die Folge zur Ausstellung mit dem Professor für Theoretische Physik Stefan Kehrein angehört. Da gibt es eine kleine Preziose. Kehrein erklärt etwas und die Podcast-Hosterin murmelt “Ich verstehe”. Kleine Pause. “Also ich verstehe es natürlich nicht. Kann man Quantenphysik überhaupt verstehen?” Darauf Prof Kehrein: “Das ist eine interessante Frage, die wird jetzt seit 100 Jahren diskutiert.”
Also bin ich guten Mutes am ersten Wochenende im April nach Göttingen gefahren.
“Das Wissensmuseum im Forum Wissen ist das erste Museum deutschlandweit, das den Prozess des Wissen-Schaffens vermittelt und dabei Gelegenheiten schafft, Rückmeldungen aus der Öffentlichkeit in die Forschung zurückzuspielen. Als Museum der Universität Göttingen steht es im kontinuierlichen Austausch mit den Institutionen des Göttingen Campus.
In den Ausstellungen werden einzigartige Zeugnisse aus 300 Jahren Wissenschaftsgeschichte öffentlich zugänglich, die aus den rund 40 dezentralen Sammlungen der Universität stammen.”
Der Samstag startete mit einer Kurator*innenführung mit Dr. Ramona Dölling und Christine Nawa durch die Sonderausstellung “Was zum Quant?!”, die durch die beiden Professoren Salvatore Manmana (Institut für Theoretische Physik) und Prof. Kurt Schönhammer (Institut für Theoretische Physik) unterstützt wurden.
Die Ausstellung zeigt, wie Göttingen vor 100 Jahren durch die Arbeiten von Physikern wie Werner Heisenberg, Max Born und Pascual Jordan zum Geburtsort der Quantenmechanik wurde.
In drei Räumen bewegt man sich chronologischer durch die 100 Jahre Quantenphysik. Im ersten Raum gibt es eine niedrigschwellige Einführung, im 5. Raum „Quanten für alle“ sind Installationen zu sehen, die Schüler*innen für die Ausstellung entwickelt haben.
Was mir sehr gefiel ist, dass die Ausstellung mit einem interaktiven Kunstwerk beginnt. Quantum Spire von Robin Baumgarten.
Die Skulptur mit hunderten Federn und tausenden von LED und reagiert auf Berührung. Berührt man die Federn, entstehen Quantenteilchen, die gleichzeitig an verschiedenen Stellen sein können (Superposition) Ein Programm berechnet mit Schrödingers Gleichung, wo sich die Teilchen befinden könnten. Je heller die Lampen leuchten, desto wahrscheinlicher ist es die Position der Teilchen.
So oder so, es ist sehr schön anzusehen und es macht Spaß, damit herumzuspielen.
Durch die ganze Ausstellungsfläche zieht sich ein auf den Boden gemalter Zeitstrahl, auf dem zu sehen ist, was zu bestimmten Zeitpunkten noch so in der Welt geschah. Wo stand die physikalische Quanten-Forschung in Göttingen, als z. B. 1919 das Bauhaus eröffnete, oder 1923 der erste deutsche Radiosender in Betrieb ging, oder als 1948 die UNO die Menschenrechte erklärte?
Sowas würde ich mir auch für viele andere Ausstellungen wünschen. Dieser Blick über den Tellerrand ist doch sehr hilfreich und bereichernd, um unterschiedlichste Gegebenheiten der Weltgeschichte miteinander zu verknüpfen und ggf. Kontexte herzustellen.
Im zweiten Raum – „Der Quantensprung“ geht es um die frühe Geschichte der Quantenphysik ab dem Jahr 1900, angefangen mit dem Bohrschen Atommodell über das Franck-Hertz-Experiment und das Doppelspalt-Experiment. U. a. ist das Habilitationsgutachten von Werner Heisenberg zu sehen und die Berufungsunterlagen von Max Born.
Im dritten Raum geht es um die „Denkfabrik Göttingen“ – Göttingen war in den 1920er Jahren mit Born, Heisenberg und Jordan ein Schmelztiegel physikalischer Forschung und auch ein Ort, an dem Lehre und Forschung eng miteinander verknüpft waren.
Wie viele Frauen?
Nun ja, wie in den meisten Bereichen und ganz besonders dem MINT, sind hier Frauen ziemlich rar. Marie Curie taucht mal auf und auch Hertha Sponer. Sie war nach der Mathematikerin Emmy Noether (ihr begegnen wir später noch im mathematischen Institut) die zweite Frau, die an der Universität Göttingen habilitierte. Ihr Foto ist auf einer Fotowand zu sehen, die zeigt, dass diese Physiker*innen auch ein Privatleben hatten und dieses zum Teil auch miteinander verbrachten: Ausflüge, Abendessen, geselliges Beisammensein. Ein Teil dieser Menschen war wohl auch sehr musikalisch – man musizierte auch gemeinsam. Viele dieser Fotos hat Hertha Sponer gemacht. Sie emigrierte 1936 in die USA und lehrte als Professorin bis zu ihrer Emeritierung an der Duke University.
In diesem Raum begegnen wir auch Schrödingers Katze und auf der Schnittstelle zur Philosophie kriegt mich die Physik fast. Student*innen und Schüler*innen haben inspiriert von dem Gedankenexperiment das Brettspiel “Schrödingers Farm” zur Quantenverschränkung entwickelte, das man in der Ausstellung spielen kann.
Anfang der 1920er Jahre fand am Physikalischen Institut ein Generationswechsel und eine Umstrukturierung statt. Institutsleiter wurden Wichard Pohl, James Franck und Max Born. Von den Studierenden wurden sie die Bonzen genannt, deren Mitarbeitende die Pohlierten, Franckierten und Bornierten. Die Verbohrten (nach Niels Bohr) gab es auch. Das finde ich witzig.
Im vierten Raum „Quantentechnologien“ geht es um Quantentechnologien im Alltag und Quantentechnologien der Zukunft. Das war mir auch nicht bewusst, dass sich diese Quantenmechanik im Handy, im Laser an der Supermarktkasse oder im MRT befindet. Fragt mich jetzt bitte nicht wie und warum. Und auf den Quantencomputer wartet ja wohl die halbe Welt.
Fazit
Die Herausforderung, ein so kompliziertes, abstraktes und nicht greifbares Thema anschaulich und sowohl für physikalische Laien, aber auch wissenschaftlich fundiert darzustellen, ist wohl gelungen. Ich denke, da kann sich jede*r auf jedem Niveau ihre/seine Erkenntnisse herausziehen.
Die Ausstellungstexte sind auf deutsch und englisch. Hier gefiel mir gut, dass sie typografisch und farblich unterschiedlich sind.
Das Look and Feel der Ausstellung finde ich – vor allem im direkten Vergleich zur Basisausstattung im Haus – leider etwas trist und altbacken. Das hätte etwas frischer sein können.
Die Ausstellung läuft noch bis zum 05.10.2025. Es gibt ein umfassendes Rahmenprogramm, der Eintritt ist (im ganzen Haus) frei!
An dieser Stelle schon mal ein fettes Dankeschön an Eva Völker und Leonie Bathow vom Forum Wissen, die dieses Wochenende organisiert haben und uns uns schon im Vorfeld und vor Ort sehr wertschätzend begleitet haben. So habe ich das im Museumskontext schon lange nicht mehr erlebt.
Mathematisches Institut
Am Nachmittag ging es zum mathematischen Institut – Mathematik und Physik sind ja eng miteinander verbunden.
Das Gebäude entstand 1929, es steht unter Denkmalschutz und ist auch innen nahezu im Originalzustand. Dieser Ort atmet Geschichte. Hier gibt es einen amüsanten kleinen Text und ein Zitat aus dem Göttinger Tageblatt von 1929: “es sei dem Baumeister gelungen, einen Bau zu errichten, der alle modernen Bedürfnisse befriedige und der bei Vermeidung allen überflüssigen Komforts so gediegen ausgeführt sei, daß die späteren laufenden Instandhaltungskosten auf ein Minimum beschränkt blieben.“
Leider habe ich bislang nicht herausgefunden, wer der Architekt war.
Die Bibliothek ist so schön, da kann man bestimmt gut arbeiten.
Und hier kommen wir wieder zu Emmy Noether, die 1915 an die Universität Göttingen geholt wurde, auch mit der Idee, dass sie dort habilitieren könne. Das zog sich dann aber bis 1919 hin, aber dann war sie die erste deutsche Frau, die in Mathematik habilitierte. Die ganze Geschichte ist sehr haarsträubend. Sie forschte und lehrte dort schon so lange und bekam erst 1923 ein kleines Gehalt. Und obwohl sie gar keine verbeamtete Professorin war, verlor sie bei der Machtergreifung der Nazis ihre Stelle und emigrierte 1933 in die USA.
Mathematische Modelle
Was mich dann komplett geflasht hat, war die Sammlung mathematischer Modelle. 500 Exponate gibt es, die meisten sind aus den Jahren 1870-1915. Für mich waren das alles Architekturentwürfe oder Studien für Möbeldesign. Aber klar, da spielt Mathematik auch eine Rolle: Statik im Hoch- und Tiefbau, (Hänge-) brückenkonstruktionen, u. ä. Ein bisschen musste ich auch an die Werkstattkurse in meinem Produktdesign-Studium denken, wo wir uns in verschiedenen Techniken übten und da zum Teil auch so wundersame Objekte entstanden.
Physikalische Sammlung
Am Sonntag bekamen wir noch eine Kurzführung von Dr. Daniel Steil durch das physicalische Cabinet und auch hier bewunderte ich die zum Teil aufwendig und kunsthandwerklich liebevoll gestalteten Gerätschaften. Hier begegnete mir auch Carl Friedrich Gauß – die älteren erinnern sich, er war auf dem letzten 10 DM Schein abgebildet – den manche aber auch nur vom Gauss’schen Weichzeichner aus Photoshop kennen. 😉
Später werde ich noch was über die Basisausstellung im Forum Wissen schreiben, und was mir sonst noch so in Göttingen begegnet ist.
Transparenz: Reise-,Übernachtungskosten und Verpflegung wurden von der Universität Göttingen übernommen, außerdem wurde ein kleines Honorar gezahlt.
(Ich werde nie verstehen, warum wir Bloggenden, bzw. Social-Media Autor*innen solche Hinweise schreiben müssen, während Journalist*innen das nicht müssen, aber das ist ein anderes Thema.)