Ich gestehe, dass mich die Basisausstellung im Forum Wissen ein kleines bisschen mehr angefixt und begeistert hat als die temporäre Sonderausstellung “Was zum Quant?!” (Dazu hatte ich schon zuvor geschrieben)
Das liegt sicher auch an der Gestaltung und Szenografie. Zehn Jahre haben die Planung und der Aufbau gedauert, seit 2022 ist das Forum Wissen geöffnet – in einem Bau von 1877, der ursprünglich das Naturwissenschaftliche Museum der Stadt und Universität war.
Die Ausstellung wurde kuratiert von den Exponauten und vom Atelier Brückner gestaltet.
Grundsätzlich geht es hier darum, nachvollziehbar zu machen, wie Wissen geschaffen wird. Es geht um die musealen Aufgaben, Sammeln, Bewahren, Erhalten, Erschließen und Vermitteln, aber auch um Forschung und Lehre. Das Wissenschaftsmuseum der Georg-August-Universität speist sich aus den über 70 wissenschaftlichen Sammlungen der Universität.
Die Ausstellung selbst besteht aus 12 Räumen des Wissens: Museum, Schränke, Labor, Feld, Schreibtisch, Atelier, Salon, Hörsaal, Werkstatt, Holzweg, Markt, Bibliothek. Dazu gehören vier Räume im Erdgeschoss, drei davon sind Prolog, ein vierter Raum ist der “Freiraum” für kleinere Sonderausstellungen.
Ich kann hier jetzt nicht alle Räume beschreiben – alle sind komplett unterschiedlich gestaltet und haben jeweils ein ganz anderes Look & Feel – ich picke die raus, die mir am besten gefallen haben.
Im ersten Raum Prolog geht es um Perspektive und Haltung.Hier stehen verschiedene Köpfe und Masken auf Säulen, die auf allen vier Seiten eine Aussage haben, (über einen Code, kann man sich einen ausführlichen Text als Audiodatei herunterladen).
Wir haben alle unterschiedliche Meinungen zu Themen, Haltungen, Vorbildung und Biografie sind unterschiedlich und manchmal macht auch die aktuelle Tagesform einen Unterschied. Und natürlich habe auch die Kurator*innen einer Ausstellung eine bestimmte Intention, mit der sie Ausstellungen konzipieren.
Ich finde es super, dass gleich zu Beginn des Rundgangs die Kästchen im Kopf geöffnet werden und man für diesen Fakt sensibilisiert wird.
Mit am Besten gefiel mir der Raum Schränke. Hier sind etliche Arten von Schränken,Herbarien, Kommoden, Vitrinen, Aufbewahrungsbehältnisse in quasi Petersburger Art und fast labyrinthisch aufgebaut. Es geht um das (auf-) bewahren, ordnen, “schubladisieren”, das physische und wissenschaftliche Klassifizieren und Ordnungssysteme.
Wie ein Raumteiler steht dort auch eine Wand aus grauen Archivkartons, die dazu dienen, menschliche Schädel aufzubewahren. Die aber leer waren! An dieser Stelle entspann sich bei der Führung von Karsten Heck, Referent Sammlungsmanagements, gleich eine Diskussion, ob man menschliche Überreste in Museen ausstellen soll. Diese Diskussion wird ja seit einiger Zeit auch öffentlich geführt. Aus unterschiedlichen Gründen und Provenienzen befinden sich menschliche Gebeine in Museen (und auch Kirchen), so genannte Reliquien, von “völkerkundlichen” Raubzügen (man denke an die “Schrumpfköpfe”), Mumien, von Ausgrabungen.
Bei meinem Besuch war im Untergeschoss, im Freiraum eine kleine archäologische Ausstellung zu sehen, in der auch eine Mumie gezeigt wurde. Hier hat es darüber wohl auch Diskussionen gegeben, ob man sie ausstellen soll/darf. Sie wurde nun in einem separaten Raum gezeigt, der mit einem entsprechenden Hinweisschild versehen war. Die Diskussion hatte man öffentlich gemacht und es gab eine Tafel auf der die Besucher*innen ihre Meinung dazu vermerken konnten.
Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, kommt das gar nicht so selten vor. Mir begegnete das zuletzt auf der Burg Linn in Krefeld, wo das Skelett von Otto von Linn in einer Vitrine liegt, in der Kirche von Odense, wo die Gebeine des heiligen Knud in einem Sarg mit Glasdeckel gezeigt werden, oder im Museum auf Fuerteventura, wo menschliche Gebeine aus archäologischen Ausgrabungen in Vitrinen liegen. Beim letzteren immerhin mit dem Vermerk, man solle diese nicht fotografieren. Es ist eine ethische Diskussion mit der Frage, was ist berechtigtes Interesse und kann es das in diesem Kontext überhaupt geben?
Aber zurück in die Ausstellung.
Ein Hingucker ist auch die Bibliothek, eine Rotunde gebaut aus tausenden von Büchern. Ein Wissensspeicher, ein Ort der Ruhe und Konzentration. Außen zeigen Schaufenster und Schubladen Exponate zum Thema, innen kann man sitzen, zum Ausruhen oder diskutieren.
Witzig ist der Raum Schreibtisch, über das Möbel, an dem Wissenschaftler einen Großteil ihrer Zeit verbringen. Es geht um das Schreiben im Lauf der Zeit, Schreibwerkzeuge, wie bringt man seine Gedanken zu Papier bringt – oder zu Nullen und Einsen im Computer. Als Besucherin bewegt man sich quasi auf einem überdimensional großen Schreibtisch zwischen riesigen Büchern, Stiften und einem Laptop.
Gestalterisch ein bisschen mau ist der Raum Markt, den ich aber sehr interessant fand: Hier geht es zum einen um den Wettbewerb um Fördergelder und Finanzierungen, wo es auch um Dankbarkeit, Verbundenheit und Loyalität geht – mit allen Vor- und Nachteilen. Und um die Vermarktung von Forschungen als Produkte. Erstaunlich fand ich, dass in Göttingen schon während des Zweiten Weltkriegs an Algen als Proteinquelle geforscht wurde – Algen sind derzeit ja auch wieder ein heißes Thema im Bereich Ernährung, aber auch als Material für Kleidung, Baustoffe, etc. By the way, Algen sind in der japanischen Küche ja ein alter Hut.
Witzig ist, dass ich hier das Modell des Schlörwagens sah, was aber gar nicht viel bei mir auslöste, mir aber Facebook ein paar Tage später ein Foto des Prototyps zuspielte, der offensichtlich verschollen ist und dass das Prinzip der Strömungsforschung zur Zeit im Automobilbau auch wieder aktuell ist.
Ein echtes Highlight ist der Salon. Zum einen als Gesamtinstallation. Ein sehr großer, schwarz ausgestatteter Raum, mit großen Fenstern, deshalb ist es nicht dunkel und der Raum wirkt offen. Man hat von hier auch einen Blick in das eine Etage tiefer liegende Café.
In der Raummitte hängen acht Bubble Chairs von Eero Aarnio im Kreis, darüber eine Kugellampen-Installation, die während der Sound-Installation von Rimini-Protokoll anfängt, bunt zu leuchten. Es geht um Austausch, diskutieren, debattieren, manchmal auch streiten. Die Wissenschaft lebt vom Austausch.
Sitzt man in einem der Bubble Chairs, hört man einen bestimmten Standpunkt der Diskussion, erst wenn man seine Bubble (sic!) verlässt und einen anderen Standpunkt einnimmt, hört man auch die anderen Aspekte. Und hier schließt sich der Kreis wunderbar zum Prolog.
Es gibt einen sehr guten, umfangreichen Katalog mit fast 400 Seiten. Erschienen im Wallstein Verlag Göttingen, ISBN 978-3-8353-5189-9.
Unterkunft
Untergebracht war ich übrigens im Hotel Freigeist – eine kleine Kette von vier Hotels in Niedersachsen. Optisch sehr frisch und modern eingerichtet, das Personal war durchweg superfreundlich. Das Hotelrestaurant Intuu hat eine japanisch/südamerikanische Küche, das hätte ich gerne probiert, aber wir waren anderweitig verplant. (Hätte vermutlich auch das Budget gesprengt). Die Hotelbar Herbarium ist schon spektakulär. Das Cocktailprogramm ist nachhaltig und regional, und arbeitet sich durch die verschiedenen Phasen und Zustände einer Pflanze. Hinter der Bar befindet sich eine Kräuterwand, von der das Grünzeug frisch für die Drinks gepflückt wird. Wir hatten einen Quanten-Cocktail, der sehr köstlich war (auf regionaler Gin-Basis) und der reizende Barkeeper hat und alle Zutaten erklärt und die Flaschen gezeigt.
Aber es folgt ein kleines Aber. Leider habe ich schlecht geschlafen, das Doppelbett hatte zwei schmale Matratzen und das Ganze war so weich und wackelig, dass ich bei jedem Umdrehen Angst hatte, aus dem Bett zu fallen. Mein Zimmer lag nach vorne zur stark befahrenen Durchgangsstraße und direkt unter mir war der Hoteleingang mit kleiner Außengastronomie – es war sehr laut. Es gibt zwar sehr gute Fenster, aber wer wie ich nicht bei geschlossenem Fenster schlafen kann, sollte – wie ich – immer mit Ohropax reisen.
Und dann wieder mein Lieblingsthema: Die Leselichtsituation! Was zum Heck ist daran so problematisch? Egal ob kleine Privatunterkunft, oder Luxushotel, meine Erfahrungen sind da zu 80% schlecht. Es gab zwar gut positionierte Leselampen am Bett, aber das Leuchtmittel war so funzelig, dass ich zu später Stunde mit müden Augen dabei nicht mehr lesen konnte. Auch im Badezimmer fehlte ein vernünftiges Licht, bei dem man sich morgens das Menschengesicht aufmalen kann.
Inzwischen neige ich fast schon dazu, allergisch auf den Begriff Designhotel zu reagieren, denn Design ist ja nun mehr, als sich mit ein paar stylischen Möbeln und Lampen einzurichten.
Und was war sonst so in Göttingen?
Leider hatte ich bei dem prallen Programm des Creator-Wochenendes nicht viel Zeit um Göttingen zu erkunden. Als ich ankam und aus dem Bahnhofsgebäude trat, fiel mir als erstes der leere Denkmal-Sockel auf. Das fand ich zuerst mal amüsant, später kam ich auf die Geschichte der Göttinger Sieben, die irgendwie auch einen aktuellen Bezug hat.
Die Göttinger Sieben war eine Gruppe von Professoren, die 1837 gegen die Aufhebung der 1833 eingeführten liberalen Verfassung im Königreich Hannover durch Ernst August I. protestierten. Die sieben Professoren (u. a. auch Wilhelm und Jacob Grimm) wurden deshalb entlassen; drei von ihnen wurden darüber hinaus des Landes verwiesen.
Ich drehte eine Runde durch die Stadt und steuerte die Düstere Straße an (bester Straßenname). Hier ist der Steidl-Verlag, ein sehr guter Verlag, insbesondere auch für Kunst- und Fotobücher. Gerhard Steidl und Günter Grass haben schon zu Grass’ Lebzeiten gemeinsam Bücher gemacht, nach dessen Tod erschien hier die komplette Göttinger Werkausgabe.
Gleich neben dem Verlagshaus steht das älteste Fachwerkhaus Göttingens und hier befindet sich das Göttinger Grass-Archiv. Grass war ja auch Zeichner und Graphiker und seine Zeichnungen schmücken die Tür und Fenster des Hauses.
Zudem hat er 2011 der Universität ein Denkmal geschenkt, das an die Göttinger Sieben erinnert.
Das schicke Kunsthaus habe ich vergessen zu fotografieren. Ich hatte irgendwie eine offensichtlich falsche Information, dass es wegen Renovierung geschlossen sei, war es aber gar nicht und ich hätte mir gerne die Fotoausstellung von Jürgen Teller Auschwitz Birkenau angeschaut, musste an der Kasse aber feststellen, dass ich Dussel beim Umpacken meiner Taschen im Hotel mein Portemonnaie nicht mit umgepackt hatte. Also auch kein Kaffee oder Eis für mich.
Ansonsten ist Göttingen ein hübsches und aufgrund der über 20.000 Studierenden, ein prosperierendes Städtchen.
Transparenz: Im Rahmen eines Creator-Wochenendes zur Ausstellung Was zum Quant?! war ich vom Forum Wissen eingeladen. Reisekosten und Verpflegung wurden von der Universität Göttingen übernommen, außerdem wurde ein kleines Honorar gezahlt. Das Hotel Freigeist hat die Übernachtung mit Frühstück gesonsert.
(Ich werde nie verstehen, warum wir Bloggenden, bzw. Social-Media Autor*innen solche Hinweise schreiben müssen, während Journalist*innen das nicht müssen, aber das ist ein anderes Thema.)