Nachdem Mons und ich im letzten Jahr einen nicht ganz so guten Start hatten, habe ich mich über die Gelegenheit gefreut, mit einer von Visit Wallonia organisierten Pressereise nochmal dorthin zu fahren. Anlass war die Neueröffnung und -konzeption des CAP mit einer Ausstellung zu Auguste Rodin im Dialog mit Arbeiten von Berlinde de Bruyckere. Ehrlich gesagt, Berlinde de Bruyckere und die Aussicht, sie persönlich zu treffen, war für mich der Hauptgrund, mitzufahren, denn ich bin ein absoluter Fan ihrer Arbeiten. Leider haben wir schon auf der Fahrt nach Mons erfahren, dass sie aus persönlichen Gründen nicht dort sein würde.
Transparenz: Fahrt, Unterbringung und Verpflegung wurden von Visit Wallonia und eurostar übernommen. Vielen Dank dafür, das war alles hervorragend.
Das CAP
Das CAP – Culture – Art – Patrimoine (Kulturerbe) ist eine Neukonzeption, die aus dem Musée des Beaux-Arts, einem kleinen Garten (Jardin Poirier beurré) und dem Stadtmuseum (Maison des Collections) besteht. Das ganz unter dem Dach des Pôle muséal, das alle Museen von Mons zusammenfasst. Der Garten, der sich zwischen dem Musée des Beaux-Arts und der Maison des Collections befindet, soll auch zu einem Dritten Ort werden, ein Zugang von der Straße, den es vorher nicht gab, wurde angelegt. Der Künstler Raphaël Decoster gestaltete ein Mural, das als Leitsystem von der Straße in den Garten führen soll.
Hier gibt es einen historischen botanischen Garten mit Pflanzen und Skulpturen, die einen regionalen Bezug haben und einen Permakulturgarten, an dem sich die Bürger*innen der Stadt beteiligen können. Für eine kleine Gastronomie war schon alles vorbereitet: Pavillon, Terrasse mit Möbeln – gestaltet von der Designerin Lucile Soufflet. Nur der/die Pächter*in war noch nicht da, das soll aber sehr bald folgen.
Ein wunderschönes, friedliches Kleinod in der Stadt mit viel Aufenthaltsqualität.
In der frisch renovierten Maison des Collections – das Gebäude von 1636 gehörte mal zu einem Kloster – wird die Geschichte der Stadt Mons erzählt. Nicht chronologisch, sondern nach Themen, was ich sehr erfrischend fand. U. a. haben an der Präsentation und Szenografie Künstler*innen mitgewirkt. Das Kollektiv VOID hat mit seinen konzeptionellen, audiovisuellen Projekten einiges dazu beigetragen.
Nun aber zu Auguste Rodin und Berlinde de Bruyckere
Skulpturen von Rodin habe ich schon so oft und an vielen verschiedenen Orten gesehen. Ich weiß gar nicht mehr wann und wo überall. Auf jeden Fall war ich auch mal im Rodin Museum in Paris, was ja sehr schön ist und die hier viele Leihgaben gegeben haben.
Der Schwerpunkt dieser Rodin-Ausstellung liegt im Umgang mit dem Körper im Verlauf seiner Karriere und in seiner Auseinandersetzung mit der Renaissance. In den Jahren 1875/1876 unternahm Rodin Studienreisen nach Italien, wo er Michelangelo studierte.
Für Das eherne Zeitalter engagierte er den Soldaten Auguste Neyt für eine Aktstudie. Nach Rodins Rückkehr aus Italien vollendete er die Figur und steht vielleicht noch unter den frischen Eindrücken des Sterbenden Sklaven von Michelangelo.
Rodin wurde 1840 in Paris geboren. Schon mit 13 Jahren wurde er an der École Spéciale de Dessin et de Mathématiques, bekannt als „Petite École“. Er absolvierte eine intensive Zeichenausbildung sowohl nach antiken Modellen, als auch nach lebenden Modellen. Er zeichnete so gut, dass er dafür Preise erhielt. Funfact: Bei den Prüfungen für den Concours des Beaux-Arts, zu denen er dreimal antrat, scheiterte er im Fach Modellieren. Er hatte also keine akademische Ausbildung, wurde aber 1864 Schüler von Albert-Ernest Carrier-Belleuse, dem er auch 1870 nach Brüssel folgte.
Ab 1896 erfand er die experimentelle Praktik des “Blindzeichnens”, bei der er nur auf das Modell, aber nicht auf das Papier schaute, womit er auf eine akademische Darstellung des Körpers verzichtete. Auch damit war er Vorreiter der Moderne. Man weiß, dass Matisse, Schiele, Klee und Picasso seine Ausstellungen Anfang des 20. Jahrhunderts besuchten.
Mir war das übrigens neu, dass er ein so großes zeichnerisches Werk hinterlassen hat. Seine Zeichnungen sind teilweise spektakulär. z. B. Die “Schwarzen Zeichnungen”, von denen es hunderte gibt. Zum Teil kommen sie aus Privatsammlungen und werden erstmals öffentlich gezeigt. Sie beziehen sich auf das Höllentor, an dem er 37 Jahre gearbeitet hat, aber nur ca. 50 Zeichnungen kann man konkret auf Figuren zuordnen. Die Arbeiten sind mit Graphit und Tinte gezeichnet, in braun, weiß und schwarz mit Gouache „coloriert“. Manche sind Collagen, teileweise sind handschriftliche Wörter oder Sätze zu lesen. Fantastisch!
Rodin hat auch viele seiner Skulpturen für die Presse gezeichnet. Das war ihm für Veröffentlichungen lieber, als Fotografien, die er auch zuhauf von seinen Skulpturen besaß. Er wollte die Kontrolle über die Abbildung haben.
Verblüffende Parallelen gibt es auch zwischen seinen Aktstudien und den Zeichnungen von Berlinde de Bruyckere.
Die Modernität findet sich auch in den Skulpturen des “späten” Rodins: Er entdeckte, dass eine verunglückte Figur eine größere, konzentrierte Kraft haben kann. Zwischen 1896 und 1900 entstanden in rascher Folge Figuren mit diesem neuen Ansatz: Er bewahrte Nähte und andere Spuren des Modellierens und Gießens, respektierte die Zeichen des Zufalls. z. B. bei der kauernden Frau oder den „Meditationen“.
Berlinde de Bruyckere
Hier muss ich etwas ausholen. 2008 war ich in New York. An einem Tag streiften wir durch den Meatpacker District, wo eine Galerie neben der anderen ist. In einem Fenster – ich weiß gar nicht mehr, ob das eine Galerie war, oder ein Fenster zu einem Flur oder Treppenhaus, sah ich diese Skulpturen und dachte nur: Wow!
Das erlebt man ja selten, dass man etwas sieht, was man noch nie gesehen hat und im gleichen Moment total geflasht ist. An dem Fenster stand nichts, ich wusste nicht, von wem das ist, oder wie ich das herausfinden konnte, also machte ich das Foto und habe es nie vergessen.
Schnitt.
2022 gab es im Arp Museum eine Einzelausstellung von Berlinde de Bruyckere und als ich die Ankündigungen und Fotos sah, dachte ich: Moment, da war doch was und endlich wusste ich, dass das in New York Arbeiten von ihr waren.
Auch dort haben mich ihre Arbeiten berührt und beeindruckt. Es geht immer um den Körper, fragmentiert, verletzt und geschunden, um Schmerz, Verletzungen und Verletzlichkeit. Ein tiefes Mitgefühl schwingt immer mit. Stoffe und Häute bedecken manchmal die Körper. Sie verhüllen, lassen ihre Geschichte nur erahnen und bieten Raum zur Interpretation.
Einer ihrer Erzengel steht in der Rodin Ausstellung, überlebensgroß, hoch auf einem Sockel, auf den Zehenspitzen. Man weiß nicht, hebt die Figur gleich ab, oder ist sie dabei zu landen. Daneben das Foto einer Skizze Rodins zu den Bürgern von Calais. Rodins Figuren sind ja eigentlich immer nackt, die Bürger von Calais aber sind bekleidet. Sie wurden tatsächlich auch nackt modelliert und vor dem Guss mit groben Leinenstoffen bekleidet wurden. Er hat hier die Kleidung, den Stoffüberwurf skizziert.
Da Berlinde de Bruyckere nicht selber vor Ort sein konnte, begleitete uns der freie Kurator Peter Muyller durch die Ausstellung. Berlinde de Bruyckere ist sehr gefragt dieser Tage. Seit Februar läuft eine Einzelausstellung in Schweden, parallel zur Ausstellung in Mons liefen die Vorbereitungen zur Biennale in Venedig und ihr Team musste vergrößert werden.
Die Figuren von Berlinde de Bruyckere sind aus Wachs, der pigmentiert und bemalt wird. Sie wirken dadurch viel körperlicher als Skulpturen aus Stein oder Marmor. Mit der durchscheinenden Oberfläche vielleicht eher noch wie Alabaster. So wie die Reliefs von Jaques de Broeucq in der Kirche Sainte-Waudru, die Berlinde de Bruyckere sehr bewundert hat. In den Seitenschiffen stehen nun drei ihrer Erzengel. Es ist verblüffend, wie sie mit den Säulen harmonieren und sich in den Raum einfügen. Xavier Roland, der Direktor des Musée des Beaux-Arts, hatte uns bei der Besichtigung begleitet und erzählte, dass der Verantwortliche Mensch der Kirche (ich weiß nicht mehr welche Position er inne hat, bzw. hatte es nicht verstande), anfangs nicht begeistert davon war, dass die Skulpturen in die Kirche sollen, aber als sie da standen, war er wohl überzeugt und meinte, als ob sie immer da gestanden hätten.
Auguste Rodin und Berlinde de Bruyckere im Dialog. Das Martyrium und Into One-Another I To P.P.P.
Die Ausstellung “Rodin. Eine moderne Renaissance” läuft noch bis zum 8. August 2024.
Bei Kulturtussi könnt ihr auch was über die Ausstellung lesen. Sie gibt mit ihrer Expertise noch ein bisschen mehr kunsthistorischen Kontext.
Und was wir sonst noch so in Mons gesehen und erlebt haben, steht hier.
Super geschrieben, liebe Ute. Das habe ich auch alles so empfunden!
Juhuu! Lieben Dank.
Ich gewinne aus dem Fotos dem Eindruck als sei die „Beschilderung“ ausschliesslich auf französisch. Ist dem so?
Meinen Sie die Objektbeschriftungen? Ja, die sind tatsächlich nur auf Französisch.