Die Ausstellung UK Women – Britische Fotografie zwischen Sozialkritik und Identität – in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, mit den Arbeiten von 28 Fotografinnen ist inzwischen leider schon vorbei.
Hier waren starke schwarzweiß Fotos aus den 1970er Jahren zu sehen, die klassisch sozial-dokumentarisch das Leben der einfachen Menschen dokumentieren. Z. B. von Markéta Luskačová an der nordenglischen Küste, oder von Fran May , die den Flohmarkt in der Londoner Brick Lane dokumentierte. Tish Murtha fotografierte Anfang der 1980er Jahre in einer Gesellschaftsreportage sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Margret Mitchell zeigt die Menschen in den 1990er Jahren in Stirling/Schottland.
Mir fiel auf, dass schwarzweiß Fotos dieser Art aus Großbritannien immer aussehen, also ob sie in den 1950er oder 1960er Jahren gemacht wurden.
Ein harter Bruch sind die Fotos von Anna Fox , die Mitte der 1980er Jahre mit hart geblitzten Fotos Yuppie-Büromenschen porträtierte. Mit überdimensionalen Funktelefonen, schrecklichen Frisuren und schrecklicher Mode.
Sehr eindrucksvoll fand ich die Serie Single Parents Bermudas von Meredith Andrews, die alleinerziehende Eltern mit ihren Kindern in ihren heimischen Wohnzimmern porträtierte. Die stark inszenierten und perfekt ausgeleuchteten Fotos erzählen viel über die zwischenmenschlichen Beziehungen.
Amüsant fand ich die Fotos der sehr künstlerischen und feministisch aktivistischn Sarah Maple , die sich gern selber inszeniert. Ebenso die Serie Seven Years von Trish Morrissey. Sie inszeniert sich und ihrer Schwester in realen oder erdachten Familienschnappschüssen, in denen die beiden alle möglichen Rollen übernehmen, unabhängig von Geschlecht und Alter. Beim Betrachten ihrer weiteren Foto- und Filmprojekte kommt man nicht umhin, an Cindy Sherman zu denken.
Sehr berührend fand ich die Serie House Clearance von Laura Blight. Sie zeigt Details in Häusern, deren Bewohner*innen verstorben sind, nachdem die Häuser geräumt wurden. “Aussortiertes Mobiliar, Gardinen, Teppiche sind die letzten Zeugen eines ganzen Lebens und fügen sich gemeinsam zu melancholischen Stillleben. Die Leere der Räume, ohne die ursprünglich vorhandenen persönlichen und privaten Gegenstände, lädt den Betrachter dazu ein, über die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner zu reflektieren und eventuell zu eigenen Familienangehörigen zu ziehen.” [Ausstellungstext]
Anne Winterer
Ebenfalls in Oberhausen habe ich die St. Antony Hütte besucht. Zum einen, weil ich ja Industriemuseen liebe und noch nie da war, zum anderen ist dort (noch bis zum 22.06.2025) eine Ausstellung der Fotografin Anne Winterer zu sehen.
Anne Winterer wurde 1894 in Konstanz geboren. 1912 begann sie eine Lehre bei dem Fotografen Hübner, die sie 1915 mit der Gesellenprüfung abschloss.Daraufhin ging sie nach Düsseldorf, um dort in verschiedenen Fotoateliers zu arbeiten. 1925 gründete sie mit Erna Hehmke (1905–1992) die „Lichtbildwerkstatt Hehmke-Winterer“, welche die beiden zehn Jahre lang zusammen betrieben.
Schon bei der Ausstellung “Studio Cologne” über Kölner Fotoateliers 1861-1928 im Juni ist mir aufgefallen, wie viele Frauen damals schon Fotografinnen waren und Fotoateliers führten. Zum einen war Fotograf*in ein Modeberuf zu der Zeit, zum anderen waren Frauen nie so passiv, wie uns die (Kultur-) geschichte immer glauben lassen will.
Anne Winterer machte Portraits, aber auch journalistische und dokumentarische Serien. Sie reiste viel und zeigt Menschen und Industrie im Ruhrgebiet, Landschaften am Niederrhein, aber auch den Alltag und die Freizeit der Menschen in den 1920er und 1930er Jahren.
Verblüffend fand ich ihre Industriefotos, die denen ihrer bekannten männlichen Kollegen, wie Albert-Renger-Patzsch oder Josef Stoffels, in nichts nachstehen. Sie fotografierte Hochöfen und auch unter Tage und nahm entsprechende Strapazen auf sich. Bei ihr steht aber immer auch der Mensch im Mittelpunkt.
In den 1920er Jahren stieg der Bedarf an Bildern für die illustrierte Presse an und auch die Nachfrage nach Industrieaufnahmen für Werkszeitschriften und anderen Presseerzeugnisse. So wurden eben auch Fotografinnen mit diesen Jobs beauftragt. Obwohl diese und viele andere Fotografinnen in ihrer Zeit bekannt und erfolgreich waren, kommen sie in der Geschichte der Fotografie kaum vor. 900 Fotografien und Dokumente von Anne Winterer befinden sich im Bestand des LVR-Industriemuseums. Man kann nur hoffen, dass diese Ausstellung erst ein erster Schritt zur Sichtbarmachung des fotografischen Lebenswerks der Fotografin ist.
1935 verließ Anne Winterer Düsseldorf, zog wieder nach Konstanz und eröffnete dort ein neues Atelier. Sie unternahm noch mehrere Fotoreisen und lieferte Unternehmensfotos für verschiedene Auftraggeber.
Anne Winterer verstarb 1938 mit nur 43 Jahren in Berlin. Nach ihrem Tod erschien ein Foto von ihr in der SS-Schrift „Der Untermensch“. Wie sie zu den Nazis stand, ist nicht bekannt bzw. noch nicht erforscht.
Alice Springs
Ganz anders ist das bei der Australierin Alice Springs. Sie machte 1970 ihre ersten professionellen, gewerblichen Fotos, als sie ihren erkrankten Eheman Helmut Newton bei einem Auftrag für die Zigarettenmarke Gitanes vertrat. Sie war bis zu ihrem Tod 2021 im Geschäft und bekannt. Aber auch als Ehefrau von Helmut Newton, Art-Direktorin, Verwalterin seines Nachlass und Teil eines gewissen Jet Set Lebens.
Geboren wurde sie 1923 als June Browne. Als Schauspielerin arbeitete sie unter dem Künstlernamen June Brunell, mit ihrer Heirat wurde sie June Newton und ihre Fotos veröffentlichte sie unter dem Pseudonym Alice Springs. (Ein bisschen beschämend ist, dass ihr Leben bei Wikipedia erst mit der Hochzeit mit Helmut Newton beginnt, obwohl sie als Schauspielerin erfolgreich und preisgekrönt war.)
June und Helmut lernten sich 1947 in Melbourne kennen, wo Helmut seit 1940, nach seiner Flucht vor den Nazis aus Deutschland lebte. 1948 heirateten sie und führten über 55 Jahre lang, bis zu seinem Tod 2004, eine kongeniale Partnerschaft.
Helmut und June fotografierten sich ständig selber, oft wanderte die Kamera zwischen beiden hin und her. Diese privaten Fotos zeigen viel Unbeschwertheit, Humor, Intimität, Lebensfreude und Albernheiten. Daraus entstand das Buchprojekt Us And Them.
June/Alice fotografierte hauptsächlich Portraits, Akt und auch für Werbekampagnen. Einige Fotos von ihr kannte ich, wie z. B. das Aktfoto von Sirpa Lane, das Coverfoto für eine Art Standardwerk, dem Ausstellungskatalog Das Aktfoto von 1985 wurde, nur ihr Name war mir nicht präsent.
Am besten gefiel mir der Raum, in dem Portrait-Fotos der gleichen Personen, jeweils von Alice und Helmut nebeneinander hingen. Bei den meisten ist der Gegensatz von Helmuts stark inszenierten und erhöhten Fotos und Alices, die oft sehr gut das Private und Persönliche der Protagonist*innen zeigen, sehr groß.
2003 gründete Helmut die Helmut Newton Foundation , im Juni 2004 eröffnete June das Museum für Fotografie in Berlin, das die Sammlung beherbergt. Helmut war im Januar des Jahres gestorben. Seit ihrem Tod 2021 ist auch ihr fotografisches Werk dort untergebracht.
Die Ausstellung Alice Spings – Retrospektive ist noch bis zum 2.2.2025 im Museum Schloss Moyland zu sehen. Ich hatte im September nach langer Zeit mal wieder eine Einladug zu einem Insta-Walk angenommen und das mit einem langen Wochenende am geliebten Niederrhein verbunden. Es gab eine fabelhafte Führung, Sacks und einen Moyland-Mule (für mich alkoholfrei) in der Bar Mezzogiorno (Von Daniel Maier-Reimers und Florian Hüttner) und noch einen Goodie-Bag. Vielen Dank dafür, das war ein schöner Nachmittag!
Ach toll. So ein Fokus auf Fotografie. Wenn ich es schaffe, bin ich immer begeistert, solche Ausstellungen zu sehen. Spannend, was du übudie Fotografinnen schreibst.