Eine Villa in Nippes 3 – Recherche zu Kretzer & Wirtgen – Biografie eines Häuserblocks

Im März 2021 hatte ich angefangen über die Kretzer Villa in Nippes zu schreiben und zu recherchieren. Und irgendwie beschäftigt mich das weiter. Ab und zu gehe ich dort vorbei und schaue, was sich da tut. (Und ich weiß inzwischen, dass die Villa in guten Händen ist.)

Ich habe mir die Mühe gemacht und die alten Adressbücher von Köln durchforstet. Das Tolle ist ja, dass darin auch immer die Hausbesitzer vermerkt sind.

(Außer mir und vielleicht noch den Menschen vom  Archiv für Stadtteilgeschichte Köln-Nippes e. V. interessiert diese Recherche wahrscheinlich niemanden.)

Laut Nippes-Wiki  wurde die Firma Kretzer & Wirtgen „1875 von Wilhelm Kretzer und Julius Wirtgen gegründet, und zwar auf einem Gelände nördlich der Nordstraße.“ Möglicherweise stimmt das nicht ganz, denn in den Adressbüchern taucht die Firma Kretzer & Wirtgen erstmals 1879 auf, und zwar in der Neusser Straße 86a. 1888 taucht erstmalig die Nordstraße auf, Kretzer & Wirtgen (Harzerzeugnissefabrik) firmieren dort noch ohne Hausnummer.

1890 gibt es die Hausnummern 13, 15, 17. Dann geht es weiter mit der Nummer 56 – das soll uns hier nicht interessieren. Die ersten drei Gebäude befinden sich im Besitz von Wilhelm Kretzer. Die Nummer 13 ist ein Wohnhaus, hier sind ein Maurer Roth und der Fabrikmeister Werres gemeldet. In der Nummer 15 befindet sich die Fabrik und in der Nummer 17 wohnt Familie Kretzer. Julius Wirtgen hat auch immer in Nippes gewohnt, erst in der Wilhelmstraße, später in der Gocher Straße.

1900 taucht die Nummer 11 in der Nordstraße auf, die aber nichts mit Kretzer oder der Fabrik zu tun hat.

Ab 1901 befindet sich in der Nummer 13 eine Krankenwagen-Meldestelle. Sie wird immer noch von Herrn Roth und seit 1894 von Herrn Schlagbaum bewohnt.

1903 ist Wilhelm Kretzer verstorben. 1904 gehören die Häuser 13-17 den Erben Kretzer, die Nummer 17 wird jetzt von der Witwe Wilhelm Kretzer bewohnt. Auch ein Wilhelm Lütz, Kutscher wohnt nun dort.

1910 Wird die Witwe Kretzer als Fabrikbesitzerin genannt, Herr Lütz wohnt nicht mehr in der Nummer 17.

1911 wird Frau Kretzer als Rentnerin genannt, und die Nummer 17A taucht auf: Die Kretzer Villa, die von ihrem Sohn Hanns bewohnt wird und der wohl die Fabrik übernommen hat.

1912 wohnt Julius Wirtgen – immer noch Teilhaber von Kretzer & Wirtgen – in der Gocherstraße 17 und ist Stadtverordneter. 1913 steigt sein Sohn Julius jun. als Prokurist in die Firma ein. 1917 wird er Teilhaber. Er wohnt bei seinem Vater in der Gocherstr. 17. Der Senior Wirtgen wird ab 1918 nicht mehr als Teilhaber der Firma genannt. Nun führen also jeweils die Söhne das Unternehmen ihrer Väter weiter.

Bis 1920 keine Änderungen, das nächste Digitalisat ist von 1925

1925 zieht ein Herr Boltz bei der Witwe Kretzer in die Nummer 17 ein.

1930 wird bei Kretzer & Wirtgen nur noch Julius Wirtgen als Geschäftsführer genannt. Die Kawenol-Oel Gesellschaft wird unter der gleichen Adresse wie Kretzer und Wirtgen geführt, von Hanns Kretzer gegründet. In der Nummer 17 gibt es nun ein Gartenhaus – oder es wird neuerdings vermieter: ein Herr Abels, Kraftwagenführer wohnt dort.

Zwischen 1925 und 1930 wird die Nummer 13 auch zum Firmensitz. Hier firmieren die Kawenol-Öl Gesellschaft und Kretzer & Wirtgen. Herr Roth wohnt hier immer noch, inzwischen ohne Beruf und die Witwe von Herrn Schlagbaum.

1933 wird es interessant: Frau Hans Kretzer, Maria Louise, geb. Bogen und Herr Franz Helfrich gründen die Kretzer & Helfrich Autoöle Gesellschaft, die in der Nordstraße 15 firmiert.

1934 Wird bei Kretzer& Helfrich nur noch Franz Helfrich als Inhaber geführt, seine Spezialität ist Kawenol. Die Firma ist nach Ehrenfeld, in die Subbelrather Str. 146 gezogen. Die Witwe Kretzer wohnt nun Kunibertskloster 22. Laut Adressbuch scheint es ein normales Wohnhaus zu sein. Vielleicht ist sie zu einer Verwandten gezogen? Ich konnte dazu nichts finden. Sie besitzt aber immer noch die Häuser 13-17.

1935 Die Nummer 13 scheint wieder ein Wohnhaus zu sein. Die Nummer 17 ist nun Gemeinschaftshaus der Volksnothilfe Köln e. V. Im Gartenhaus wohnt immer noch Herr Abels, ohne Beruf. Hanns Kretzer in der 17A wird immer noch als Fabrikant aufgeführt. Julius Wirtgen wohnt noch in der Gocher Str. 17.

1936 Das Unternehmen Kretzer & Helfrich wird noch von Franz Helfrich geführt, allerdings nun im Drosselweg 25. Kretzer & Wirtgen gehört noch Julius Wirtgen und Fritz Heinrich Bock. Sie befindet sich ebenfalls in Ehrenfeld, am Güterbahnhof.

1937 gehören die Nummern 13-17 der Stadt. Die Witwe scheint verstorben zu sein. Warum hat sie die Häuser nicht ihrem Sohn Hanns vererbt?! Die Nr. 15 existiert so nicht mehr, hier ist ein Neubau ohne Nummer vermerkt. Julius Wirtgen wohnt jetzt am Kaiser-Wilhelm-Ring 29.

1938 Eigentümer der Neubauten 15 und 15 A ist E. Bröcker. In der Nummer 15 wohnt die Witwe von Egon Bröcker. Vielleicht fängt ihr Vorname auch mit E an, oder auf die Adressbücher ist auch nicht immer zu 100 Prozent Verlass, denn die Nummer 17 gehört nun wieder Kretzer mit Wohnort Kunibertskloster 22. Hier befindet sich das Gemeischaftshaus und Kindergarten der RSB (?). Erstmals taucht die Gustav-Nachtigal-Straße auf, die die Nordstraße zwischen der Nummer 15A und 17 kreuzt.

1939 Kretzer & Wirtgen hat nun die Adresse Herbrandstr.3-5 (am Güterbahnhof). Die Häuser 13-17 in der Nordstr. gehören nun Frau Betzler, wohnhaft Kunibertskloster 22. Das würde jetzt meine Vermutung stützen, dass es eine Verwandte von Frau Kretzer ist und sie die Häuser geerbt hat. Die Villa Nr. 17 A gehört nach wie vor Hanns Kretzer. Dort wohnt nun auch ein Otto Kaufmann, der Kaufmann ist.

1941/42 Hanns Kretzer wohnt jetzt in der Nußbaumerstr. Str. 18. Die Villa in der Nordstr. 17 A gehört den Eheleuten Meyer. Die Nummer 17 ist nach wie vor Gemeinschaftshaus und Kindergarten der RSB.

1943 Hanns Kretzer ist in der Nußbaumer Str. 68 umgezogen und wird als Mineralölimporteur geführt.

Das nächste Digitalisat ist das Branchenbuch von 1948. Kretzer und Wirtgen firmieren in der Widdersdorfer Str. 211

1950 Hans Kretzer, Mineralöl-Einfuhr, wohnt in der Eichendorffstr. 14. Ist es der gleiche wie Hanns, oder ein Sohn? Julius Wirtgen ist inzwischen verstorben. Seine Witwe, ohne Beruf, wohnt in der Tieckstr. 13. Kretzer & Wirtgen existiert noch und firmiert in Braunsfeld in der Alsdorfer Str. 1/3.

1951 Hanns Kretzer führt nun einen Großhandel für Handarbeitswolle. Baumwolle und Maschinengarn in der Ehrenstr. 14-16. Seine Privatadresse ist immer noch die Eichendorffstr. 14. In der Nordstr. ist Marie Luise Broeker die Besitzerin der Häuser 15 und 15 A. Die Nr. 17 gehört den Eheleuten Kuttig, die selber in der Tangastr. wohnen, aber hier firmieren die Kuttig & Co. Autotransporte. Die Nr. 17A gehört noch den Eheleuten Meyer. Dort wohnen inzwischen mindestens vier Parteien.

Ich habe mir sagen lassen, dass die Villa nicht als Mehrfamilienhaus nutzbar sei, aber vermutlich hat man in der Nachkriegszeit zimmerweise vermietet.

1953 der letzte Eintrag zu Kretzer & Wirtgen.

Bis 1954 keine Veränderungen, außer dass die Witwe Julius Wirtgen nun in der Aachener Str. 448 in Braunsfeld wohnt.

1955 gehören die Häuser Frau Ant. Vianden, sie selber woht in der Nummer 15A.

1956 Ist die Witwe Julius Wirtgen nach Lindenthal in die Hillerstr. 54 gezogen. Der letzte Eintrag zu ihrem Namen ist 1957.

1957 heißt das Unternehmen von Hanns Kretzer Strickwarenfabrik.

1960 gibt es die Kuttig & Co. Autotransporte nicht mehr in der Nr. 17, das Haus gehört aber noch M. Kuttig. Spannend wird es jetzt in der Villa, denn nun wohnt hier der Komponist Rudi von der Dovenmühle.

1961 taucht Hanns Kretzer das letzte Mal im Adressbuch auf. Ab 1962 seine Witwe, Kauffrau. Seine Strickwarenfabrik wird zum letzten mal 1962 aufgeführt. In der Villa 17A taucht nun die Margot Böhm (Ehefrau von Rudi von der Dovenmühle) Minerva Music, Astor Music – Edition für Film, Tanz- und Unterhaltungsmusik auf.

1962 befindet sich in der Nr. 17  ein Lagerhaus der Spedition Roland Kuttig und in der Villa lebt nun auch Hildegard von der Dovenmühle, Fotolaborantin und zusätzlich zu Minerva Music und Astor Music gibt es noch Tequila-Music, geführt von Margot von der Dovenmühle und Nils Nobach.

1966 M. Kuttig wohnt jetzt an der Flora 1 und Margot von der Dovenmühle ist Eigentümerin der Kretzer-Villa.

1968 taucht bei der Nr. 17 erstmalig eine Tankstelle auf. Besitzer ist Hans Dany.

1970 haben die Eheleute Weber die Villa übernommen, sie wohnen auch dort, die Frau Karin ist Heilpraktikerin.

Beim Digitalisat von 1971 gibt es leider kein Einwohnerverzeichnis und ausgerechnet die Seiten mit der Nordstraße fehlen!

Das letzte Digitalisat ist von 1973. Auch hier leider kein Einwohnerverzeichnis. Die Häuser 15 und 15A gehören Frau M. L. Vianden, die Nr. 17 gehört nun der Wings & Co. Die Tankstelle ist jetzt eine Texaco, geführt von Wilfried Brunkhorst. Die von der Dovenmühlens sind mit ihren Musikverlagen aus der Villa ausgezogen.

 

Screenshot Open Streetmap Nordstraße

Was mir erst bei dieser Adressbuchrecherche aufgefallen ist, als nämlich 1938 die Gustav-Nachtigal-Straße als Querstraße zur Nordstraße auftauchte, dass ich die ganze Zeit dachte, die Häuser 13, 15 und 17 befänden sich in dem  jetzigen Block rechts der Gustav-Nachtigal-Straße. Aber bis zur Entstehung des sogenannten Afrika-Viertels war das ja ein durchgehendes Gelände! Die Togostraße wird auch als Querstraße der Nordstraße aufgeführt und zwar bis 1973! Jetzt ist sie von der Usambarastraße aus eine Sackgasse, die nicht mehr bis zur Nordstraße führt. Das ganze Gelände, was jetzt zu Auto Dirks gehört, ist jetzt die Nummer 13. Der kleine Büroschuppen ist da, wo auf der anderen Seite die Togostraße endet. Kann also gut sein, dass sie da ursprünglich mal durchführte.

Das Haus Nummer 11 ist vermutlich noch das von 1900. Ob die jetzigen Häuser 15 und 15A die von 1938 sind?

Schön ist, dass bei Open Streetmap (siehe Screenshot oben) noch die Gebäude von vor dem Abriss eingezeichnet sind, inkl. der ehemaligen Tankstelle. Bei Google Maps ist schon das Satellitenbild von nach dem Abriss 2021 zu sehen und dort sind auch schon die Hausnummern des Neubaus eingetragen. Bei Google Streetmap sind (heute, 13.3.2023) noch die alten Gebäude und die letzte Version der Tankstelle zu sehen.

 

 

 

 

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